Ich liebe Kaffee, ich trinke ihn gerne und starte mit ihm gerne meinen Tag, ich mag es nachmittags in Ruhe bei einem Becher Kaffee (am liebsten mit Hafermilch) an meinem Küchentisch zu sitzen und in die Wolken schauen. Seit meiner Studi-Zeit habe ich eine "French Press", die mir dieses Vergnügen immer wieder möglich macht. Nun hat so eine French Press auch ihre Eigenheiten. Sie hat ihre Bedürfnisse an eine "richtige Bedienung", sie mag es nicht zu vollgestopft zu werden und sie mag Druck nur auf bestimmte Weise. Im Grunde haben wir einiges gemeinsam.
Bei einem Kaffee 😉 habe ich darüber nachgedacht, dass dieses kleine Ding gar nicht so weit entfernt ist von uns Menschen. Wir mögen es auch nicht mit irgendwelchem Zeug vollgestopft zu werden ("Arbeitsverdichtung" ist mittlerweile eins meiner persönlichen Unworte). Unsere heutige Gesellschaft neigt dazu alles und mehr von wesentlich weniger Menschen machen zu lassen zu wollen. Ein Loslassen und wirkliches Optimieren (gegen das ich überhaupt nichts habe), gibt es leider kaum. Immer mehr soll in immer weniger Zeit zu gleicher Qualität und gleichen Kosten erledigt werden. Wenn die Menschen, die das entscheiden sich an die Grundregel des "Magischen Dreiecks" halten würden, wäre schnell klar, dass das so nicht funktioniert. Das magische Dreieck bildet sich aus den Eckpunkten Zeit, Kosten und Qualität und kann sich laut Theorie nur in Abhängigkeit vergrößern. Anders geschrieben: Wir können nicht gleichzeitig in alle Ecken rennen.
Zurück zu meiner French Press. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich mehr Kaffee von dem kleinen Helferchen möchte, sollte ich es nicht mehr einfach nur unter größeren Druck setzen. Denn was passiert? Ich fülle einfach mehr Pulver rein, fülle noch mehr heißes Wasser nach (es soll sich ja lohnen) und lasse sie wie gewohnt kurz damit in Ruhe. Dann geht's los und ich drücke mit voller Kraft und mit gleicher Geschwindigkeit wie bisher das Sieb herunter. So hat es doch mit weniger auch immer geklappt. Also warum sollte ich etwas ändern? Das geht auch einen Moment gut. Das Pulver wird nach unten gedrückt und der Kaffee oben kommt pur zum Vorschein. Juhuuu. "Es geht doch" denke ich mir. Ich drücke weiter.. und weiter.. Und auf einmal: Spitzt des aus der Kanne! Das Sieb konnte den steigenden Druck, der sich durch die Ansammlung von immer mehr Kaffeepulver an den Ränder bildete, nicht mehr standhalten. Um Druck abzulassen, klappt das Sieb zur Seite und es spritzt es aus der Kanne. Die Sauerei ist groß. Nicht nur außerhalb der Kanne befindet sich Kaffee, auch innerhalb des bereits gesiebten Kaffees befindet sich nun Pulver, nachdem es durch den Überdruck an den Rändern vorbeigehuscht ist. Hmpf. Einfach so weitermachen wie immer, nur eben mit mehr Druck führt mich nicht zu mehr Kaffee.. Was können wir daraus lernen?
Schauen wir da kurz auf die Menschen und ihr Arbeitsumfeld. Ein Mensch hat eine gewohnte Tätigkeit, die er/sie in einer gewissen Zeit (nach unten drücken des Siebs bei der French Press) in gewisser Qualität (kein Kaffeepulver im gesiebten Kaffee) und zu bestimmten Kosten (faires Kaffeepulver, Wasser) ausüben kann. Im Laufe der Zeit muss er immer mehr und mehr dieser Tätigkeit in gleichem Rahmen abliefern. Der Stress steigt. Irgendwann wird dieser Mensch an seine/ihre inneren Kapazitätsgrenze gebracht. Und KABUMM, das Fass ist übergelaufen. Doch das beginnt auch schleichend, wie zu Beginn mit der French Press. Anfangs geht es. Doch mit der Zeit: Krankheiten schleichen sich ein (oder der zur Ruhe kommende Körper, der aus dem "Stressmodus" herauskommt, erliegt erst in Ruhephasen einer Krankheit, die lang hinaus gezögert wurde), der Urlaub wird gebraucht, um sich mal auszuschlafen.. Die eigene Gesundheit ist gefährdet. Bei Langzeitbelastungen ohne gefühlten Ausweg können sich Menschen innerlich so aufreiben, dass es zur Überlastung/Burn-Out/Depression kommt.. Ich weiß, wovon ich schreibe (Hier ein persönlicher Einblick). Dennoch: Die Folgen sind sehr individuell und auch die Anzeichen ganz unterschiedliche.
Ich möchte schließlich trotzdem mehr Kaffee! Vor allem, wenn ich Besuch bekomme. Da möchte ich viel Kaffee, um Freude zu teilen. Wie mache ich das mit meiner French Press? Ich nehme genauso viel Kaffee und heißes Wasser wie zuvor. Ich lasse sie auch in Ruhe und den Kaffee durchziehen. Doch bevor ich mit aller Gewalt und mehr Druck das Sieb herunter zwingen will, mache ich etwas Entscheidendes: Ich rüttel etwas an meiner French Press. Das Kaffeepulver sammelt sich nicht mehr geballt an der Oberfläche, sondern es lockert sich auf. Jetzt kann ich plötzlich viel leichter an mehr Kaffee bekommen. Bingo!
Für meine Analogie zur Arbeitswelt bedeutet es, dass wir durchaus in der Lage sind viel zu schaffen. Neue Anforderungen bedeuten ein Umdenken. Nur wenn wir von außen einfach nur mehr Druck bekommen ohne uns neusortieren zu können, kann es in mehr Chaos enden als es müsste. Die To-Dos wachsen, die Übersicht geht verloren, alles wirkt gleich wichtig. Wir gehen verloren und laufen über. Oder kapseln uns ab, bevor wir ganz in die Luft fliegen, um den inneren Druck abzulassen.
Mein Schlüssel ist gesunder Stressabbau: Ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Ich drücke nur die wichtigen Kaffeepulverpartikel (wichtige Aufgaben) nach unten. Alles, was durch das Schütteln (Loslassen) schon allein runtergesunken ist, muss ich nicht mehr bearbeiten. Durch das Buch "Essentialismus (engl.: Essentialism)" habe ich eine für mich passende Form des Minimalismus gefunden. Minimalismus klingt etwas nach "Ich besitze nichts außer die Klamotten, die ich trage, diese Hängematte und.. meine French Press (!!)". 😉 Für mich bedeutet das viel mehr als nur "weniger zu besitzen". Ich umgebe mich im Verhältnis mit viel mehr Dingen/Menschen/Gedanken, die mir Freude bereiten und ich fühle mich weniger erdrückt von äußeren Reizen. Doch dazu an anderer Stelle gern mehr. In Bezug auf mein Arbeitspensum bedeutet es, dass ich mich auf die wichtigen Aufgaben konzentriere, diese angehe und beende. Kein hier und da irgendwie alles (am besten gleichzeitig) machen, sondern ein Streben nach einem klaren Fokus (wie der klare Kaffee in meiner French Press).
Stress fühlt sich oft für mich an wie Druck, der auf mir lastet. Die Schultern spannen sich an, der Rücken macht sich durch Schmerz bemerkbar. Ich werde steifer (die freiwerdende Energie bündelt sich in den Muskeln und macht bereit für Kampf/Flucht oder Verharren in Paralyse) und auch geistiger weniger flexibel (übrigens ein sehr interessanter Zusammenhang!) Da hilft es mir in Momenten, in denen ich unter großer Anspannung stehe, mich einfach zu schütteln und zwar ganz wortwörtlich! Das baut Stress ab, löst die Muskeln und hilft mir mich neu zu orientieren und die Dinge frisch anzupacken. Wie meine kleine French Press rüttel ich mir die Aufgaben so hin, wie ich sie verarbeiten kann und erfreue mich an dem klaren Ergebnis.
Wie helft ihr euch mehr Überblick und Klarheit in eurer Leben zu bringen? Seid ihr gut darin für euch zu sorgen und könnt ihr gut "Nein sagen"?
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