Wir alle haben (in unterschiedlicher Ausprägung) Angst vor dem Unbekannten. Unbekanntes und Neues bedeutet für unser Gehirn in erster Linie evolutionär bedingt Gefahr. Das ist der Grund, warum wir Menschen unsere Komfortzone so ungern verlassen. Innerhalb unserer Komfortzone kennen wir uns aus, außerhalb begegnen uns Unsicherheit, Angst und Ungewissheit. In unserer Komfortzone wissen wir, was wir machen können, ohne Schaden zu nehmen, laufen dieselben Wege im Alltag oder Fahren dieselben Straßen entlang zur Arbeit, zur Uni oder zu Familie und Freunden. Die meiste Zeit sind wir im Automatik-Modus unterwegs, denn unsere Routinen sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Beim Fahrradfahren oder Autofahren denken wir zum Beispiel nicht mehr aktiv darüber nach, was wir machen, wenn wir Beschleunigen, Abbiegen oder Parken bzw. Absteigen. Mit steigender Fahrpraxis übernimmt die Routine und Prozesse laufen automatisch ab. In den ersten Fahrstunden in der Fahrschule war das noch anders. Dort habe ich z.B. jeden Handgriff, jedes Betätigen eines Schalters oder Pedals bewusst ausgeführt. Mittlerweile läuft das vergleichsweise im Autopilot. Die Routinen sind in mein Unterbewusstsein übernommen worden.
Wenn ich von Komfortzone und dem Verlassen derselbigen spreche, orientiere ich mich an einem einfachen Modell. Es besteht aus drei Bereichen: der Komfortzone aus kleinstem Raum, der von der Risiko- oder Lernzone umgeben wird, und dem dritten Bereich, der Panikzone. In jeder Zone sind wir mit unterschiedlichen Gefühlen unterwegs.
Unsere Komfortzone verbinden wir mit Sicherheit, Gewohnheit, es kostet keine Anstrengung in ihr etwas zu tun, denn wir sind es gewohnt. Sie bedeutet auch Erholung für uns, ein sicherer Hafen, in dem wir zur Ruhe kommen dürfen und können. Wollen wir uns weiterentwickeln, lohnt sich ein Schritt heraus in die Lernzone (oder auch Risikozone). Menschen lernen nur außerhalb ihrer Komfortzone und wachsen, wenn sie sich herausfordern. Den zweiten Bereich, die Lernzone, betreten wir, sobald wir etwas Neues ausprobieren oder erlernen wollen und unsere Angst überwinden. Es bedeutet Anstrengung und Herausforderung für uns, wir wissen noch nicht, wie es funktioniert. Gehen wir zu weit, wenn wir uns selbst herausfordern, merken wir das sofort. In der Panikzone angekommen spüren wir Überforderung, Hilflosigkeit und eine gewisse Art der Ohnmacht. Hier schaltet unser eigener Überlebensmodus ein und wir fühlen uns mehr als leicht gestresst, können nicht mehr frei denken, sondern wollen der ungewohnten Situation nur noch entfliehen, sie bekämpfen oder erstarren, um die Gefahr zu überstehen. Da das alles sehr theoretisch ist, möchte ich euch Beispiele aus meinem eigenen Leben zeigen, in denen ich meine Komfortzone verlassen habe, um sie letztlich zu erweitern. Denn jedes Mal, wenn wir Neues lernen und uns wohl damit fühlen, wird dies Neue zu Gewohntem und damit Teil unserer neuen, größeren Komfortzone.
So behütend die eigene Komfortzone sein kann, so einengend kann sie zeitgleich sein. Wir beschränken unseren Bewegungsradius, ohne es zu merken, wenn wir diese gemütliche Zone nicht auch hin und wieder verlassen. Ich selbst bin neugierig auf Neues, ich liebe es mich selbst herauszufordern und bin bereit mich in gewissem Maße meinen Ängsten zu stellen. 2010 habe ich das erste Mal ein Thaibox-Gym von innen gesehen. Ich war fasziniert von der Atmosphäre, der gemischten Menschengruppe, die eine gemeinsame Leidenschaft hatte. Damals war das für mich der erste Schritt raus aus meiner Komfortzone. Ich ging, um mir diesem Schritt zu erleichtern, gemeinsam mit meinem damaligen Mitbewohner und gutem Freund zum Training. Er gab mir die Sicherheit mich der neuen Situation zu stellen. Immerhin wusste ich nicht, was mich erwartete. Ich fühlte mich unsicher, wusste nur grob, wie so ein Training ablief und versuchte mich bestmöglich an den anderen Trainierenden und den Ansagen des Trainers zu orientieren. Als Anfängerin wurden mir in der ersten Trainingseinheit der richtige Stand, das Ausführen von Boxschlägen und der Einsatz des Knies beigebracht. Ich stand mit zwei anderen, männlichen Anfängern in einer Reihe. Ich war eine von zwei Frauen im gesamten Raum. Wir übten die Techniken für uns, vor einem Spiegel, ohne Equipment, um ein Gefühl für unseren Körper zu bekommen. Eine wichtige Übung darin sich aufs Wesentliche, auf die Basis zu konzentrieren und nicht bereits fliegende Ellenbogen zu trainieren, wenn wir nicht mal wissen, wie wir unsere Körper mühelos bewegen können. Während wir Anfänger:innen allein unsere Kombinationen übten, holten sich die Fortgeschrittenen Pratzen und Equipment. Ich hatte ein Leuchten in den Augen und erinnere mich noch heute an Annika, eine Kämpferin aus dem Gym, die gute 2 Köpfe kleiner war als ich und den Laden rockte. Ich war schwer begeistert von ihrem Kampfgeist, ihrer Technik, Ausdauer und ihrem Fokus. Ihr machte keiner so schnell etwas vor, das strahlte sie aus. Nach einigen Runden an der Pratze durfte ich sie und die anderen auch noch bei leichtem Sparring beobachten. Ich war geflasht und wusste nach der ersten Trainingseinheit, dass ich meine Kampfkunst gefunden hatte. Ich wollte die Kunst des Muay Thai erlernen
Lese-Empfehlung: Lies in Ginas Artikel wie sie zum Muay Thai gekommen ist und was ihre Erfahrungen auf ihrer Reise zu sich selbst waren.
Das erste Training war damals eine Herausforderung für mich. Ich betrat einen mir unbekannten Ort, kannte den Trainer nicht und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Alles war neu. Den einzigen Sport, den ich damals machte, war hin und wieder in einem Fitnessstudio an Geräten zu trainieren. Meine Erfahrungen aus den Jahren davor lagen eher in Ballsportarten wie Fußball, Volleyball oder Tennis. Meinen Körper allein gezielt einzusetzen, war mir fremd. Andere Menschen zu schlagen oder zu treten war ungewohnt für mich, wenn nicht sogar anfangs beängstigend. Im Laufe meines Trainings lernte ich den Ablauf einer typischen Trainingseinheit kennen: Aufwärmen meist mit Seilspringen, Dehnen, Schattenboxen, Bandagieren, ein paar Runden an der Pratze und/oder Sparring, Abschlusstraining mit Körpergewichtsübungen, Abwärmen. Ich lernte wie es sich anfühlt auf den Kopf meines Trainingspartners zu zielen (und zu treffen) und lernte wie es sich anfühlt selbst am Kopf getroffen zu werden. Die ersten verhältnismäßig leichten Schläge vor allem an meinen Kopf führten bei mir zu Irritation, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Doch damit lernte ich umzugehen bis ich letztlich selbst im Ring stand und mich meiner Angst im Mittelpunkt zu stehen stellte. Mit jedem Training, jeder neuen Herausforderung und dem Erfahren von "Ich kann das" habe ich meine Komfortzone erweitert. Alles begann mit dem Schritt das Muay Thai Gym zu betreten, ging weiter mit dem ersten Mal "Pratze halten" für meine Trainingspartner:innen, dann weiter mit meinem ersten Sparring und mit dem Erfolg meines ersten Kampfes. Vergleiche ich meine Komfortzone von damals mit der von heute ist meine Bewegungsfreiheit unglaublich gewachsen. Ich fühle mich in viel mehr Situationen wohler als damals. Wäre ich damals in den ersten Trainingseinheiten direkt mit Sparring konfrontiert worden, wäre ich direkt in meiner Panikzone gelandet. Ich hatte keine Erfahrung, keine Werkzeuge, keine Handlungsfähigkeit und wäre einfach nur überfordert gewesen. Heute ist mir diese Situation nicht mehr fremd. Ich habe mich langsam herangewagt und bin gewachsen.
Wenn du etwas Neues ausprobierst, überfordere dich nicht und gib dir Zeit. Nur wenn du in der Lernzone bleibst, lernst du auch, erweiterst deine Komfortzone und erschließt dir mehr Bewegungsfreiheit in deinem Leben. Zu große Schritte auf einmal, führen zu Überforderung, Starre und einem Gefühl von Versagen. Verbinde das Gefühl von Freude und Spaß mit neuen Herausforderungen und feiere jeden Erfolg. Das ist die beste Art zu lernen und mitunter einer der Gründe, warum ich spielerisches, leichtes Sparring über hartes Sparring stelle.
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